Da hier die Tage scheinbar früher beginnen und auch enden, haben wir uns zu einem Early-Morning-Walk entschieden. Den Wecker auf 5 Uhr gestellt und dann um 6.30 tatsächlich aufgestanden und raus an den Ganges.
Bisher hat uns Varanasi ja bezüglich Spiritualität und Religion ziemlich enttäuscht. Aber am Morgen wenn die Motoren noch nicht warmgelaufen sind und die ganzen Schlepper noch nicht da sind, ist es hier ein ganz anderer Ort.

Unzählige Menschen die an den Ganges strömen und hier ihre Rituale abhalten. Alles scheint mystisch und die Inder beachten uns (die rumschwirrenden Touris) nicht im geringsten. Das macht es umso authentischer.
Wir schlendern den Ghats entlang und setzen uns mehrmals hin, um das Schauspiel zu betrachten. An einem Ort baden die Leute im Ganges, einige Meter weiter wird ein neues Boot gebaut, dann wieder badende Menschen, danach Wäsche-waschende Leute und irgendwo dazwischen werden noch Verstorbene verbrannt. Ein buntes Bild ohne erkennbare Struktur, wie es scheint.

Irgendwo entschliessen wir uns doch nochmals eine Runde mit dem Boot zu machen. Diesmal aber in eine Richtung, wo wir bislang noch nicht waren. Unser Mann macht einen fairen Preis, dennoch seine Passagiere bleiben wachsam. 🙂
Diesmal ohne Motor geht es Fluss abwärts, bis zum Manikarnika Ghat. Dies ist wohl das Spannenste. Hier werden während 24h Verstorbene rituell verbrannt und die Asche danach dem Ganges übergeben. Unglaublich wie viel Holz hier angekarrt oder geschippert wird. Selbstverständlich gibt es verschiedenes Holz für verschiedene Bedürfnisse.
Wir kommen gerade rechtzeitig an um zu erleben, wie zwei Feuer entzündet werden. Frauen sind hier nicht erlaubt und auch sonst sind nicht viele Menschen da, wenn man von den Touris und den männlichen Angehörigen absieht. Zu den Touris werden übrigens auch Inder aus dem Süden gezählt. Wir können den Zeremonien einige Zeit beiwohnen und werden ebenfalls kaum beachtet, da wir uns ja auf dem Fluss befinden.
Danach gehts zurück und unser Steuermann bringt uns sicher und mit Verspätung zum Ausgangspunkt. Es stellt sich heraus, dass es wirklich ein faires Geschäft war, obwohl die Tour etwas überzogen hat, wird nicht mal versucht mehr herauszuschlagen.

Auf dem Rückweg gehts dann ins Aum Cafe, ein Restaurant, welches von einer Amerikanerin geführt wird. Hier erlauben wir uns auch mal wieder den Genuss von Kaffee, geschnittenen Früchten und einem eilosem Omelett. Fazit: Kaffee flop, Essen top.

Franziska überrascht mich dann noch mit einem buddhistischen Ort hier rund um Varanasi. In Sarnath soll Buddha seine erste Lehrrede gehalten haben, nachdem er seine Erleuchtung erlangt hat. Da der Teilzeit-Buddhist in mir sich ein wenig auskennt, kommen mir Zweifel auf, denn der Ort seiner Erleuchtung ist wohl an die 10 Stunden mit dem Zug entfernt. Aber tatsächlich, Wikipedia ist derselben Meinung. Wir schnappen uns also ein Tuk Tuk und fahren die 10 Km zu dem Ort.

Nun zu Buddhas Zeiten gab es hier bloss einen Wildpark. Aber mit der Zeit entstanden Klöster und eine riesige Stupa. Und das Meiste würde wohl noch stehen, wenn im 12. Jahrhundert nicht ein andersgläubiger Nachbar die ganze Gegend zerstört hätte.
Schon erstaunlich wie sich dieselbe Geschichte, an verschiedenen Orten ohne Zusammenhang wiederholen kann.

Die Tour dauert länger als gedacht und wir erleben auf dem Rückweg sowas wie eine Rush-hour. Das spirituelle Feeling vom Morgen ist eine schwache Erinnerung. Hier war keiner am Ganges, oder es verleiht ihnen ein Gefühl von Unbesiegbarkeit. Jeder fährt als wär sein Fahrzeug ein Panzer. Sobald sich irgendwo eine kleine Lücke auftut, gehts mit Vollgas in die Richtung, auch wenns nur ein Meter ist. Jemandem den Vortritt lassen? Nur wenn «sein Panzer» grösser ist, sonst kommt das gar nicht in Frage. Wer kleiner ist, hat verloren.
Ich nehme irgendwann mein Knie, welches leicht aus dem Tuk Tuk schaut, wieder rein und bin froh darüber, denn ich hätte jetzt mindestens eine Beule, so knapp bemessen ist der Abstand zu anderen Fahrzeugen.
Was mich aber erstaunt, wenn mal einer so richtig austickt und verbales Vollgas gibt, den Angesprochenen lässt sowas kalt. Nicht mal ein Zucken mit der Wimper, geschweige denn ein «häsch Problem, Mann!». Absolut nichts! Das wiederum verdient meine volle Bewunderung für die Indische Coolness.